In den Gärten, die ich in meiner Kindheit im Dorf durchstromerte gab es sie oft: ein langer horizontaler Stecken, dazu ein vertikaler, dann darüber ein alter Kittel und ein Hut oben drauf. Manchmal wurde auch eine Hose daran festgebunden und aus einem alten Kartoffelsack ein Kopf unterm dem Hut geformt. Aber das war schon die 2.0 Version. Jedenfalls hielt diese Vogelscheuche einigermaßen wirksam die Vögel davon ab, die Johannisbeeren oder Himbeeren vor der Gärtnerin zu ernten. 

Diese Gärten und die Vogelscheuchen gibt es oft nicht mehr. Das Obst und Gemüse in den Supermärkten ist billiger und meist das ganze Jahr über verfügbar. Kaum jemand macht noch den Buckel rum und die Finger dreckig, um Unkraut zu jäten, Bohnen zu pflücken oder Kartoffeln aus der Erde zu holen. Das überlassen wir den Maschinen, den osteuropäischen Erntehelfern oder den ausländischen Produzenten. 

Manchmal denke ich, dass wir uns im gleichen Maße, wie wir uns von der Produktion unserer eigenen Lebensmittel entfernt haben, auch voneinander entfernt haben: Wir leben in Bubbles mit ungefähr Gleichgesinnten. In diesen Blasen gibt es eine je eigene Sprache, eigene Werte, eigene Wahrheiten, Informationskanaäle usw. Und wenn es aus Versehen mal zu einem Zusammenstoß der Bubbles kommt, herrscht großes Unverständnis und Chaos. Nasen werden gerümpft und Finger aufeinander gezeigt, weil man vielleicht nicht korrekt gegendert, oder weil man es gerade doch tut usw, usw...Ich habe manchmal Mühe all dem zu folgen und bin froh, wenn meine Kinder mir manchmal Nachhilfe geben in dem Fach: "Die Welt von heute Verstehen". 

Aber was ich wirklich nicht verstehe ist, wieso Menschen jemanden wie Höcke wählen? Was ist da los in unserem Land? Ja, es stimmt, wir sind völlig überbürokratisiert in so vielen Bereichen: im Sozialbereich, im Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft, in der Verwaltung, auch in der kirchlichen. Das Bedürfnis nach Sicherheit und die Angst vor Ungerechtigkeit oder Korruption hat so viele Gesetzte und DIN-Normen hervorgebracht, das kein Mensch mehr durchblickt. Und dann noch der Arbeitsschutz, der Datenschutz, der Brandschutz, die EU-Normen und natürlich die Klimaziele, die unbedingt einzuhalten sind. Und ja, man hat den Eindruck, dass auch unsere Regierung nicht wirklich weiß, wie man das alles ändern soll. Aber deswegen wählt man doch nicht rechts außen? Oder links außen? 

Vielleicht fehlt unserem Land, der Gesellschaft, den Menschen das Vertrauen? Das Vertrauen zueinander, das Vertrauen in unsere politischen Gremien, das Vertrauen in die Demokratie? Und das Wissen, dass ich für mein Land auch selber etwas tun muss, verantwortlich bin, mich einbringen muss und nicht nur auf dem Sofa Kartoffelchips essen darf. Ein soziales Pflichtjahr für alle, finde ich eine gut Idee, damit z.B. alle merken und wissen, dass Altenpflege oder Erziehung von Kindern in der Kita nicht von alleine geht oder von der KI gesteuert wird. 

Manchmal kann man es wirklich mit der Angst zu tun bekommen, wenn man so auf die Welt und unser Land schaut.  

Und dann sehe es vor mir: den horizontale Stecken, den vertikalen und ich stelle mir einen weißen Kittel darum vor, engelsgleich, darüber statt Hut vielleicht einen Heiligenschein. Fürchtet euch nicht! Ruft Sie uns zu. Die Angstscheuche! Vielleicht ist das in diesen Zeiten unsere zentrale Botschaft als Kirche: Fürchtet euch nicht! Habt Vertrauen und gebt die Hoffnung nicht auf! Seht all das Gute auf dieser Welt, die vielen Hoffnungszeichen. Habt keine Angst. Vertraut, dass alles gut werden wird und beginnt, bei euch vor der Tür die kleinen Samen zu säen: den grummligen Nachbarn zu grüßen, der alten Frau die Einkaufstasche nach Hause tragen, mal bei der türkischen Familie nebenan fragen, wie sie es hinkriegen so guten Kaffee zu kochen. Grenzen überschreiten, Bubbles mal zum Platzen bringen. Ja, nicht alles wird gelingen. Mancher Same fällt unter Dornen, anderer wird zertreten - aber es steht nicht geschrieben, dass der Sämann deswegen aufgehört hat zu säen! 

Regine Klusmann